Level 1i-Krankenhäuser und sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen: Warum es das gleiche Paar Schuhe ist?
Von Laura Valentukeviciute
Level 1i sei vom Tisch, verkündeten manche Medien (https://www.aerzteblatt.de/archiv/231924/Krankenhausreform-Level-sind-vom-Tisch ) im Juni, als der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und die Ländergesundheitsminister*innen das gemeinsame Eckpunktepapier (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/krankenhausreform-eckpunkte ) vorstellten. Leider ist dem nicht so. Das Level 1i wurde im Eckpunktepapier in sektorenübergreifende Versorger umbenannt und wird, so wie vom Bundesgesundheitsminister ursprünglich geplant, unsere Krankenhauslandschaft dramatisch verändern.
Im aktuell verabschiedeten Krankenhaustransparenzgesetz taucht die Bezeichnung Level 1i noch an ein paar Stellen auf, im kursierenden inoffiziellen Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz heißt Level 1i nur noch Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung. Diese Umbenennung wird im folgenden Satz im Transparenzgesetz deutlich: „Krankenhäuser, die eine sektorenübergreifende Versorgung und in der Regel keine Notfallmedizin erbringen, werden von der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde der Versorgungsstufe „Level 1i“ zugeordnet.“
Übrigens stammt der Begriff der sektorenübergreifenden beziehungsweise intersektoralen Versorgung aus der Gesundheitsökonomie, vorrangig von Dr. Jonas Schreyögg. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Management im Gesundheitswesen an der Uni Hamburg und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Neben Dr. Reinhard Busse und Dr. Boris Augurzky ist Dr. Schreyögg ein weiterer Gesundheitsökonom und einflussreicher Regierungsberater, der seit Jahren die Ausdünnung der Krankenhauslandschaft vorbereitet. Er ist Koautor der im Juni 2019 veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung „Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich“ (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/eine-bessere-versorgung-ist-nur-mit-halb-so-vielen-kliniken-moeglich#link-tab-144561-14).
Bei den sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen liegt der Fokus bei Geriatrie: es soll einerseits relativ kurz behandelt und dann entlassen werden. Andererseits sollen diese Einrichtungen die Versorgung unklarer multipler Fälle übernehmen, bei denen es nicht klar ist, wo die Patient*innen untergebracht werden sollen. Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen sind nach dem Versorgungsmodell älterer Patient*innen entworfen – es geht vor allem um deren Versorgung, aber auf einem niedrigen Niveau.
Sechs Punkte zum besseren Verständnis von Level 1i-Einrichtungen/Sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen
Abgesehen von Bayerns Gegenstimme und der Enthaltung von Schleswig-Holstein haben alle Länder dem Eckpunktepapier zugestimmt. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung selbstverständlich an den darin enthaltenen Ausführungen zu Level 1i bzw. Sektorenübergreifenden Versorgseinrivhtungen festhält: Die Definition der Level im Eckepunktepapier ist nach wie vor richtungsweisend. Deswegen macht es Sinn, sich die dazu im Eckpunktepapier enthaltenen Ausführungen genauer anzuschauen.
- Sind Level 1i-Einrichtungen noch Krankenhäuser oder keine mehr?
Der folgende Satz legt fest: „Sektorenübergreifende Versorger (Level Ii-Krankenhäuser) sind Plankrankenhäuser nach § 108 Nummer 2 SGB V, soweit sie stationäre Leistungen erbringen.“
In Umkehrschluss heißt das aber auch, dass sie keine Plankrankenhäuser mehr sind, wenn sie keine stationären Leistungen mehr erbringen. Das kann ziemlich schnell ziemlich viele Einrichtungen betreffen. Denn aufgrund der Unattraktivität dieser Einrichtungen sowohl für die Patient*innen als auch für die Beschäftigten dürften die dort noch vorhandenen stationären Betten sehr schnell abgeschafft werden, insbesondere aufgrund des Personalmangels. Unabhängig von ihrer Definition als Plankrankenhäuser muss betont werden, dass sie in der Regel keine Notfallmedizin anbieten sollen, und dass sie nicht gesetzlich zu einer Ausstattung mit mindestens den Fachabteilungen Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Intensivmedizin und Notfallversorgung verpflichtet sind. Das heißt: Selbst wenn sie (begrenzte) stationäre Leistungen erbringen, ist nicht gesichert, dass ihre Ausstattung dem eines grundversorgenden Allgemeinkrankenhauses entspricht.
- Umbenennung als Vernebelungstaktik.
Das Eckpunktepapier preist an: „Ihnen [Level 1i-Krankenhäusern] kommt eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer sektorenübergreifenden und integrierten Gesundheitsversorgung zu. Hierunter können bettenführende Primärversorgungszentren (PVZ), Regionale Gesundheitszentren (RGZ), integrierte Gesundheitszentren oder andere ambulant-stationäre Zentren fallen.“
Es wird bewusst diffus gehalten, was unter die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen fällt, und es werden immer wieder neue Namen erfunden, die im Grunde das gleiche bedeuten: Umwandlung der Krankenhäuser in ambulante Einrichtungen mit einem sehr schmalem Leistungsspektrum:
„Neben der allgemeinen stationären Behandlung (mindestens Allgemeinmedizin oder Geriatrie,
zusätzlich können Innere Medizin und Chirurgie vorgehalten werden) sollen sektorenübergrei-
fende Versorger beispielsweise folgende Leistungen erbringen:
– Ambulante Leistungen aufgrund einer vertragsärztlichen Ermächtigung,
– Leistungen des AOP-Katalogs nach § 115b SGB V,
– Leistungen nach 115f SGB V (Hybrid-DRGs),
– Ausbau der Leistungen von Institutsambulanzen aus strukturellem Grund mit Zustim-
mung des Landes,
– belegärztliche Leistungen und
– Leistungen der Pflege nach SGB V oder SGB XI (mit Ausnahme der stationären Lang-
zeitpflege), insbesondere Übergangspflege nach § 39e SGB V und Kurzzeitpflege.“
Das umfasst reine ambulante Leistungen, und bei der Pflege sind nur noch Übergangspflege und Kurzzeitpflege erlaubt. Eine qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung sieht anders aus, und das steht im Widerspruch zu Lauterbachs Slogans, mit der Reform die Qualität der Versorgung zu verbessern.
Regelungen zur pädiatrischen Versorgung gibt es in diesem Kontext bisher nicht.
- Wie entsteht eine Sektorenübergreifender Versorgungseinrichtung?
„[…] sie entwickeln sich regelhaft aus dem stationären Bereich, insbesondere durch die Umwandlung bisheriger Krankenhäuser, können sich aber auch aus ambulanten Versorgungsmodellen heraus entwickeln.“
Es ist zu vermuten, dass eine Verschiebung weg von MVZ hin zu sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen stattfinden wird, weil bei sektorenübergreifenden Versorgern aufgrund der Kooperation mit einem Arzt automatisch ein Kassensitz generiert wird. Bei MVZ ist es bisher anders. Sie dürfen nur dann gegründet werden, wenn ein Arzt dort seinen Kassensitz hat, das wiederum von der Kassenärtzlichen Vereinigung bestimmt wird. Das Monopol der Vergabe von Kassenarztsitzen, das die Kassenärztliche Vereinigung innehat, wird durchbrochen. Die Bedarfsfeststellung und Planungskompetenz liegen dann nicht mehr im ambulanten Bereich, sondern wird dem stationären Bereich zugeordnet.
- Wer entscheidet über die Herabstufung der Kliniken?
„Die Länder entscheiden im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Krankenhausplanung, welchen
Krankenhäusern stationäre Leistungen eines sektorenübergreifenden Versorgers (Level 1i-
Krankenhauses) zugewiesen werden.“
Dass der Bund diese Entscheidung den Ländern zuschiebt, ärgert sie sehr und deswegen wehren sie sich dagegen. Auch wenn den meisten Ländern weniger Krankenhäuser ganz gut passen würden – so könnten sie Geld für die gesetzlich vorgeschriebenen Investitionen sparen und den limitierten Geldtopf für Vorsorgepauschalen auf weniger Krankenhäuser verteilen – gleicht die Übernahme dieser Aufgabe einem politischen Harakiri. Abschätzungen des Softwareentwicklers Bindoc zufolge könnten von den aktuell 1.719 Krankenhäusern künftig 358, meist kleinere, Standorte davon betroffen sein. Konkret heißt es: allein durch einen Reformschritt – die Einteilung der Kliniken in Levels – wäre circa ein Fünftel der Kliniken von Schließungen betroffen.
- Wie werden die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen finanziert?
„Die Vergütung der sektorenübergreifenden Versorger (Level 1i-Krankenhäuser) besteht aus ei-
nem Finanzierungsmix. Neben der Vergütung für stationär erbrachte Leistungen werden die von
den sektorenübergreifenden Versorgern (Level 1i-Krankenhäuser) erbrachten Leistungen (z.B.
ambulante Leistungen nach §§ 115b und 115f SGB V, Übergangspflege nach § 39e SGB V) nach
den für sie geltenden Vergütungsregelungen vergütet.“
So ein Finanzierungsmix ist sehr kompliziert und stellt bisher eine hohe Hürde für die Zusammenführung der stationären und der ambulanten Leistungen dar. Bei den Level 1i-Einrichtungen wird es mehrere unterschiedliche Abrechnungen bei den Kostenträgern geben: für stationäre, ambulante, Reha- und Pflegeleistungen. Das wird den Prozess der Umwandlung der Krankenhäuser in Sektorenübergreifende Versorger verlangsamen. Die Patient*innenströme werden in der Zeit anders umverteilt, sodass der Standort als Sektorenübergreifender Versorger dann obsolet wird – auch dadurch wird ein Teil der Krankenhäuser komplett verschwinden.
- Ist die Weiterbildung dort möglich?
„Die Standorte der sektorenübergreifenden Versorger (Level 1i-Krankenhäuser) sollen wesentlicher Bestandteil in der ärztlichen und pflegerischen Aus- und Weiterbildung sowie weiterer Gesundheitsberufe sein. Im Verbund mit anderen Kliniken sollen sie eine zentrale Rolle in der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegepersonal bekommen.“
Die Aussage „Weiterbildung im Verbund möglich“ – suggeriert, dass in Level 1i-Krankenhäusern Weiterbildung möglich ist. Im Verbund heißt es aber, dass die Weiterbildung nicht an der Level 1i Einrichtung, sondern in einem Krankenhaus des Verbunds erfolgen wird.
Die Idee, dass die sektorenübergreifenden Versorger eine „zentrale Rolle in der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten“ bekommen sollten, ist im Arbeitsentwurf des nächsten Vorhabens – des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes – nicht mehr zu finden. Das ist auf die Kritik der Berufsverbände zurück zu führen. So hat der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) moniert: „Verstörend wirkt die Äußerung, dass in Level 1i-Häusern wesentliche Bestandteile der ärztlichen Weiterbildung stattfinden sollen. Hierbei dürfte klar sein, dass die Level 1i-Häuser allenfalls Weiterbildungsbefugnisse der dort tätigen Ärztinnen und Ärzte für ambulante Weiterbildungsinhalte erlangen dürften.“
Auch eine weitere Formulierung wurde aufgrund des Drucks der Berufsverbände wie BDI verändert: „Immerhin konnte man sich auf die Formulierung verständigen, dass die pflegerische Leitung keinen Einfluss auf die ärztliche/medizinische Verantwortung der Leistungserbringung entfalten darf.“ Wenn der Arzt dann Mal kommt…
Den Bedeutungsverlust durch die Abstufung zu Level 1i-Einrichtungen sollen die Zuschreibungen wie „wesentlicher Bestandteil“ oder „zentrale Rolle“ kaschieren – ein ziemlich billiger Trick des Bundesgesundheitsministers und seiner Berater.