Ein Gastbeitrag von Herbert Storn
In ganz Deutschland fehlen Schulen oder warten auf ihre Sanierung, auch in Berlin. Seit über drei Jahren wird dort an einer Konstruktion gebastelt, die schon wegen ihrer Größenordnung von ursprünglich 5,5 Milliarden Euro heraussticht. Die Berliner Bezirke sollen das Eigentum an inzwischen 43 Schulen an die landeseigene, aber in privater Rechtsform geführte Wohnungsbaugesellschaft Howoge GmbH abtreten, damit diese sie baut oder saniert und an die Bezirke vermietet. Dafür erhält die Howoge GmbH ein Erbbaurecht für 37 Jahre, das sie rein rechtlich auch verkaufen oder mit Schuldtiteln belasten darf. Zu Beginn der Planung, 2017, sollte die Erbpacht für die Howoge übrigens für 25 Jahre gelten. Die privatisierungskritische Organisation Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) warnt seit Jahren vor dem Vorhaben, inzwischen hat sich der Berliner Rechnungshof vollumfänglich der Kritik angeschlossen. Warum wählt eine rot-rot-grüne Koalition eine solch merkwürdige Konstruktion, deren Vorbereitung allein mittlerweile schon drei Jahre in Anspruch genommen hat?
Die Begründung ist schlicht: Land und Bezirke könnten die für Neubauten und Sanierungen nötige Gesamtsumme nicht mehr über den regulären Haushalt aufbringen, und das Kreditaufnahmeverbot (vulgo »Schuldenbremse«) verwehre zusätzliche Kredite. Deshalb solle ein Teil der Neubauschulen sowie alle Großsanierungen über Kredite der Howoge finanziert werden, die nicht unter die öffentliche Verschuldung fallen, für die allerdings die Bezirke über die jahrzehntelange Zahlung von Mieten für die Schulen geradestehen.
Die linken Verteidiger des Privatisierungsmodells lieben nach eigener Aussage die Konstruktion nicht (so bei der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung im August 2018), halten sie aber »aus Notwehr« gegen das Verschuldungsverbot angesichts unzureichender staatlicher und kommunaler Einnahmen für alternativlos.
Das würde aber als Begründung nicht reichen, weil im Koalitionsvertrag ausdrücklich festgelegt wurde: »Die Koalition schließt beim Neubau jede Form von Public Private Partnership aus.«
Diese Hürde hat man dadurch »ausgeräumt«, dass man die Konstruktion der sogenannten Berliner Schulbauoffensive (BSO) über eine öffentlich-öffentliche Partnerschaft (ÖÖP) mit der Howoge GmbH als »keine Privatisierung« darstellt, schließlich befinde sich die Howoge GmbH im Eigentum des Landes Berlin. Damit behalte die öffentliche Hand die Kontrolle und garantiere für Transparenz. Wenn das stimmen würde, könnte man sich zurücklehnen, hätte aber immer noch das Problem der eingeschränkten politischen Einflussnahmemöglichkeiten auf eine privatrechtlich verfasste Gesellschaft.
Überraschend ist diese Argumentation nicht zuletzt deshalb, weil es unter linken KritikerInnen bis heute Konsens ist, die 2017 in einem umfangreichen Gesetzespaket beschlossene und 2018 erfolgte Gründung der Autobahn GmbH als zumindest formelle Privatisierung zu bezeichnen.
Zweifel am Vorhaben lassen sich nicht unterdrücken. Was bewegt Kritiker wie GiB mit der Volksinitiative »Unsere Schulen« dazu, viel Zeit und Energie darauf zu verwenden, 30.000 Unterschriften zu sammeln, um eine öffentliche Anhörung im Abgeordnetenhaus zu erreichen und mit einer 100-seitigen Stellungnahme das Schweigen aufzubrechen?
Eine Antwort liegt in den Erfahrungen, die kritische Organisationen in jahrzehntelangen und immer ähnlichen Auseinandersetzungen gewonnen haben. Die Déjà-vu-Ereignisse reichen von unzähligen Projekten öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP), die im Vorfeld schöngerechnet wurden, von Toll Collect bis hin zu den Rechtsstreitigkeiten um einen ÖPP-Abschnitt der Autobahn A1, über Cross-Border-Leasing bis hin zu Projekten wie Stuttgart 21 und dem Berliner Flughafen BER.
Letzterer drängt sich nach nur drei Jahren »Schulbauoffensive« als abschreckendes Beispiel förmlich auf, sowohl hinsichtlich des langen Realisierungszeitraums als auch in Bezug auf die Entwicklung der Kosten.
»Howoge-Schulsanierung verursacht Kostenexplosion und zehn Jahre Bauverzögerung«, überschrieb GiB am 24. November 2020 eine Presseerklärung. In nur zweieinhalb Jahren Planungsphase stieg das Volumen für die der Howoge zugedachten Schulsanierungen um 460 Prozent – von 198 Millionen Euro auf aktuell 913 Millionen Euro. Dabei liegen die von der Howoge prognostizierten Kosten pro Schulplatz fast beim Fünffachen des bundesweiten Durchschnitts: Sie betragen 77.286 Euro gegenüber 16.598 Euro.
Dazu kommt, dass die Howoge bisher in keiner Berliner Schule irgendetwas saniert hat. Wohingegen Senat und Bezirke ihre Schulen behutsam und kostengünstig sanieren können.
In seiner Kritik moniert der Landesrechnungshof, dass die Kosten der mit dem Programm insgesamt geplanten Maßnahmen aktuell mehr als elf Milliarden Euro betragen sollen und sich die Kostenprognosen damit bereits verdoppelt haben. Zudem sei der Zeitplan der Schulbauoffensive bis 2026 schon Makulatur. Die Senatsverwaltung habe zudem »mögliche Alternativen [zur Einbindung der Howoge; H. S.] nicht im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ermittelt und bewertet. Die behauptete Alternativlosigkeit der für die BSO festgelegten Lösung ist nicht gegeben.« Den Senatsbeschlüssen zur Schulbauoffensive fehle es an belastbaren Bedarfsgrundlagen.
Außerdem ergebe sich durch die geplante Jahresmiete pro Schule von drei bis vier Millionen Euro mit den darin enthaltenen hohen Transaktionskosten und Baukosten von 50 Millionen Euro pro Schule allein bei 25 Jahren eine Übersteigerung der Mieten gegenüber den Baukosten um das 1,5- bis 2-fache.
Neben den Kostensteigerungen hat GiB bereits im Mai 2020 auf Vertragslücken in den Miet- und Erbbaurechtsverträgen zwischen den Bezirken und der Howoge hingewiesen, die im Extremfall zu echten Privatsierungen führen können. Alles in allem sind das wohl mehr als genug Gründe, die Einbindung der Howoge in den Berliner Schulbau sofort zu stoppen. Noch ist es nicht zu spät, denn die Verträge für die einzelnen Schulprojekte – voraussichtlich drei pro Schule – sind von den Bezirken noch nicht unterzeichnet. Anfang Oktober schrieb GiB in einem Brandbrief persönlich die Abgeordneten der Koalition, den Senat, die BezirksbürgermeisterInnen und die SchulstadträtInnen an und warnte und vor den Privatisierungsrisiken, den Kostenexplosionen und Verzögerungen. Weitere Apelle von BürgerInnen folgten mit der Aufforderung, die Verträge nicht zu unterschreiben.
Bisher ist nur eine Antwort bekannt: Charlottenburg-Wilmersdorf versichert, mit der Howoge keine Schule zu bauen.
Als Mitunterzeichner habe auch ich appelliert: »Man muss Fehler wie beim Berliner Flughafen nicht wiederholen. Noch ist nichts zu spät. Die vom Rechnungshof erwarteten 5,5 Milliarden Euro Mehrkosten sind vermeidbar. Sie sollten nicht in den privaten Renditebereich abfließen, sondern den Betroffenen zugutekommen. Die Verzögerung beträgt bereits vier Jahre. Und es drohen 10 Jahre Verspätung zu werden. Wir fordern Senat und Bezirke in Berlin auf, die Howoge-Verträge auf keinen Fall zu unterschreiben.«
Komplexe Finanzkonstruktionen im Überschneidungsbereich von Privat und öffentlicher Hand sind nie leicht zu durchschauen. Es gibt bisher kein Beispiel, das für die öffentliche Hand vorteilhaft ausgegangen ist, obwohl vorher immer wieder behauptet. Viele Nichtregierungsorganisationen bilden hier eine »kritische Masse«. Diese mit Nichtbeachtung zu strafen, wie in Berlin zu beobachten, rächt sich schon auf kurze Sicht.
Es bestätigt sich immer mehr, dass die tragenden Säulen der Rechtfertigung für die Berliner Schulbauoffensive, wie sie 2017/18 vorgetragen wurden, das Dach schon nach drei Jahren nicht halten. Nicht zuletzt wenn man sich vor Augen führt, dass der Senat die Schülerzahlen inzwischen so stark nach unten revidiert hat, dass man auf die Einbindung der Howoge glatt verzichtet könnte. Aber auch das staatliche Kreditaufnahmeverbot wird aktuell anders gesehen. Jetzt Eigentumsrechte für 37 Jahre aus der Hand zu geben, erscheint nach den bisherigen Erfahrungen riskant, um es gelinde zu formulieren.
Rot-Rot-Grün hat noch die Chance, eine falsche Weichenstellung zu korrigieren und aus Fehlern der Vergangenheit wie den staatlichen Wohnungsverkäufen oder dem Flughafen BER zu lernen. Es geht auch in Berlin kein Weg daran vorbei, die öffentlichen Kapazitäten und Kompetenzen zurückzuholen, wie es zum Beispiel Frankfurt am Main mit seinem Amt für Bau und Immobilien getan hat.
Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 25/2020 der Zweiwochenschrift Ossietzky.
Herbert Storn hat sich auch in seinem neuen Buch »Germany first« auf die Suche nach der »kritischen Masse« gemacht (Büchner-Verlag, 251 Seiten, 18 €).