Sachstandsbericht der Berliner Schulbauoffensive Juni 2020
Autoren: Uli Scholz, Hans Philipp, Moritz Neujeffski
Platzmangel, Verfall und verdreckte Schultoiletten: Als die rot-rot grüne Berliner Regierung 2016 ins Amt kam, herrschte schnell Einigkeit, dass viel Geld in die Hand genommen werden müsse, um Neubauten und notwendige Investitionen in die Berliner Schulen zu finanzieren. Mit der Berliner Schulbauoffensive (BSO) sollten 5,5 Milliarden Euro in die Sanierung und den Neubau von Schulen investiert werden. Die Berliner Schulbauoffensive war ein zentrales Projekt des Berliner Senats angesichts einer schnell wachsenden Stadt und eines massiven Investitionsstaus. Die Koalition erarbeitete ein Konzept, mit dessen Hilfe die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge GmbH die Mehrzahl der Neubauten und die anstehenden Großsanierungen (> zehn Millionen Euro) der vorhandenen Schulen organisieren soll. Die damit verbundenen Probleme können Sie hier noch einmal im Detail nachlesen.
Im Januar 2018 startete Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) gegen dieses Vorhaben die Volksinitiative „Unsere Schulen“ und konnte im Juli 2018 dem Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses 30.402 Unterschriften übergeben. Vor allem warnte GiB vor massiven Kostensteigerungen beim Schulbau und möglichen Privatisierungen der Schulen. Genau diese Befürchtungen scheinen sich nun zu bewahrheiten.
Das Land Berlin hat im Frühjahr diesen Jahres Musterverträge zur Auslagerung des Schulbaus an die Howoge GmbH durch Übertragung des Erbbaurechts vorgelegt. Gleichzeitig sollen die Berliner Bezirke als Schulträger 37-Jahres-Verträge zur Rückanmietung unterschreiben – dieselbe Konstruktion wie bei öffentlich-privaten Partnerschaften, die von den Senatsparteien offiziell abgelehnt werden. GiB hat Rechtsanwalt Benno Reinhardt gebeten, die Musterverträge aus juristischer Sicht zu bewerten. Das Ergebnis zeigt, dass durch die Verträge eine weitreichende Privatisierung der betroffenen Schulen ermöglicht würde. Rechtsanwalt Benno Reinhardt schreibt in seiner Stellungnahme:
„Die vorliegenden Verträge verdeutlichen, dass alle Risiken beim Land liegen, während die Howoge lediglich als Dienstleister für den Bau und als Dienstleister für die Kreditaufnahmen fungiert. […] Vor dem Hintergrund dieses sehr eingeschränkten Nutzens für das Land Berlin ist es umso unverständlicher und erstaunlich, dass die Vertragspartner im Weiteren Regelungen vorsehen, die es zulassen, dass sämtliche Schulen an Finanzinvestoren veräußert werden.“
Eine weitere Regelungslücke führt dazu, dass das Land Berlin jederzeit Anteile an der Howoge an Dritte verkaufen kann. Der Verkauf solcher Anteile steht derzeit nicht auf der politischen Agenda. Dies kann sich aber jederzeit ändern. Das Land Berlin wird gegebenenfalls Vermögen veräußern müssen, wenn es den Haushalt nicht ausgleichen kann, so bereits geschehen mit anderen Berliner Wohnungsbaugesellschaften und den Berliner Wasserbetrieben. Der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz hat bereits auf Haushaltslücken infolge der Corona-Pandemie in Höhe von zwei Milliarden Euro jährlich hingewiesen.
Offensichtlich hat das Land Berlin die bisher von der Volksinitiative und GiB vorgetragene Rechtsauffassung übernommen, der Erbbaurechtsvertrag bedürfe der Zustimmung des Abgeordnetenhauses, vergleiche nunmehr § 20 des Erbbaurechtsvertrages. Gemeingut in BürgerInnenhand fordert die Abgeordneten auf, die Verträge zum mindesten so nicht zu beschließen, sondern sie so zu ändern, dass der Verkauf der Schulen an Dritte ausgeschlossen wird und bei einem Verkauf der Anteile der Howoge die Schulen automatisch an das Land zurückfallen.
Kostenexplosion schon in der Kalkulationsphase
Der Senat hat 2018 versprochen, durch die Finanzierung im Privatrecht würden die Kosten für den Landeshaushalt beim Schulbau und der Sanierung nur moderat steigen. Dieses Versprechen ist schon vor Baubeginn hinfällig. Aktuelle Berechnungen von GiB ergeben: Schon in der Kalkulationsphase gehen die Kosten durch die Decke.
Dem letzten Controllingbericht zufolge steigt die Bausumme bei den Neubauten gegenüber dem Controllingbericht vom April 2018 um 67 Prozent. Ein Schulplatz im Neubau soll im Durchschnitt 98.000 Euro kosten. Für diese Summe werden anderswo zwei Schulplätze geschaffen (detaillierte Übersicht am Ende des Berichts).
Die Bausumme bei den Sanierungen steigt sogar um 130 Prozent. Ein sanierter Schulplatz würde im Durchschnitt 38.000 Euro kosten – andere deutsche Kommunen bekommen für ein wenig mehr einen neuen Schulplatz (detaillierte Übersicht am Ende des Berichts).
Die massiv gestiegenen Kosten sollen am Kreditmarkt beschafft und die Bezirke als Schulträger zur Rückanmietung der Immobilien über 37 Jahre verpflichtet werden. Mit den Mieten wird, neben der Tilgung, in Form der Zinsen auch der Profit der privaten Investoren finanziert. Kommende Generationen sollen für diese Mieten geradestehen und aller Voraussicht nach „den Gürtel enger schnallen“.
Das zweite Versprechen, mit dem der Senat die Privatisierung beworben hat, ist ebenfalls hinfällig. Der Neubau und die Sanierung der Schulen werden nicht beschleunigt, sondern geradezu ausgebremst. Nicht einen Spatenstich hat die Wohnungsbaugesellschaft bisher für einen Schulneubau veranlasst. Eine Vielzahl neuer Arbeitsgruppen, Zuständigkeiten und Institutionen wurde eingerichtet (siehe Schulbau-Newsletter Mai 2020, Seite 20), die sich erst einmal mit Selbstdefinitionen befassten und mit den höchst komplizierten Vertragswerken der völlig neuartigen „öffentlich-öffentlichen Partnerschaft“ immer noch nicht zu Rande gekommen sind. Offensichtlich ist die formelle Privatisierung des Schulbaus am Scheitern und könnte sogar zur materiellen Privatisierung führen.
Das Modell Frankfurt am Main als mögliche Alternative
Nach unserer Ansicht ist es für eine Rückabwicklung des mit der Howoge 2018 geschlossenen Rahmenvertrags und eine Stärkung des kommunalen Schulbaus nie zu spät. Der hessische Privatisierungskritiker und langjährige Gewerkschafter Herbert Storn (GiB) schlug den Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus in seinem Brief vom 17. Mai 2020 als Alternative das Beispiel des „Amts für Bau und Immobilien“ der Stadt Frankfurt am Main vor. In dessen Verantwortung wurden in der hessischen Metropole zahlreiche neue Schulen in vergleichsweise kurzer Zeit errichtet: ohne die Geheimverträge des Privatrechts, ohne intransparente Kostensteigerungen und vor allem ohne die Gefahr eines Verkaufs bei geänderter Kassenlage.
Die Parteien im Berliner Senat, die sich bislang als privatisierungskritisch verstehen, haben noch bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Jahr Gelegenheit, auf ihre Steilvorlage für die privatisierungswillige Opposition zu verzichten. Bislang Versäumtes würde so noch nicht aufgeholt, aber den künftigen SteuerzahlerInnen blieben unkalkulierbare Mehrkosten erspart.