Abkehr vom Auto würde auch Flächen für andere Zwecke frei werden lassen
Zuerst erschienen in: MieterEcho 403 / Juni 2019
Von Carl Waßmuth
Die Schülerinnen und Schüler von „Fridays For Future“ (FFF) haben den Finger in eine offene Wunde gelegt. In Berlin ist der Verkehr maßgeblich für den CO2 -Ausstoß verantwortlich. Aber haben wir nicht jetzt eine von den Grünen berufene Verkehrssenatorin? Tempo 30 auf der Leipziger Straße, ein neues Mobilitätsgesetz? Ohnehin hat Berlin ein weitgehend ausgebautes U- und S-Bahnnetz und im Osten der Stadt auch ein gutes Straßenbahnnetz. Mehr als die Hälfte der Berliner Haushalte hat gar kein eigenes Auto. Doch all das – da muss man „FFF“ Recht geben – reicht bei weitem nicht aus.
Stadt der immer längeren Wege
Berlins explodierende Mieten treiben auch die Belastungen aus dem Verkehr in die Höhe. Immer weniger Menschen können noch in der Nähe ihrer Arbeit wohnen. Die durchschnittliche Entfernung zu Schulen oder anderen sozialen Einrichtungen steigt stetig. Menschen, die bisher kein Auto hatten, müssen an den Stadtrand ziehen und stellen fest, dass der Nahverkehr dort schlechter funktioniert. Busse fahren nur im 20-Minuten-Takt, Fahrten fallen aus, die Anschlüsse sind schlecht. Auch die Wege im Freizeitverkehr verlängern sich. Der Rückgang von Grünanlagen, öffentlichen Bädern, Sport- und Freizeitflächen treibt viele Menschen am Wochenende aus der Stadt. Auf den Ausfallstraßen bilden sich kilometerlange Staus.
Uber bringt hunderttausend Autos mit
Die Berliner Taxifahrer/innen haben per Streik auf Bedrohungen durch den Fahrdienst Uber aufmerksam gemacht. Dabei geht es auch ums Klima: In Uber-Städten nimmt der Autoverkehr erheblich zu, wie die Süddeutsche Zeitung am 10. April 2019 berichtet. Der Taxistreik sollte also nicht als Egoismus einer Branche abgetan werden: Uber konkurriert mit unserem städtischen Verkehrssystem insgesamt. Berlin beteiligt sich leider an der Unterlaufung von Bus und Bahn: Die BVG hat mit dutzenden Millionen Euro die Entwicklung der BerlKönig-App unterstützt. Eigentlich sollten mit dem Dienst Versorgungslücken in den Außenbezirken geschlossen werden. Stattdessen fahren die BerlKönige vor allem in Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte. Über ein Jointventure mit „ViaVan“, an dem auch Daimler beteiligt ist, entwickelte die BVG ein Produkt für die Autoindustrie. Damit macht Daimler nicht nur in Berlin, sondern auch in Amsterdam und London Taxis und ÖPNV Konkurrenz.
S-Bahn-Zerschlagung statt Rekommunalisierung?
Vor zehn Jahren erlebte Berlin das sogenannte S-Bahn-Chaos. Die Deutsche Bahn AG (DB) hatte die Berliner S-Bahn auf dem Weg zur Börse kaputtgespart. Es wurde offenbar, dass die DB an einer Wartung des Netzes kein sonderliches Interesse hatte. Noch gravierender war nur der Fahrzeugmangel, der in Wellen bis heute anhält. Statt das Netz von der Bahn zurückzuholen, versuchte der Senat, den S-Bahn-Betrieb teilweise zu privatisieren, was aber an der Komplexität der zugehörigen Ausschreibung scheiterte. Von der von den Grünen aufgestellten Verkehrssenatorin Regine Günther wurde das Vorhaben wieder aufgenommen. Die Stadtbahnlinien S3, S5, S7 und S75 sollen für 15 Jahre an einen neuen Betreiber gehen, die S-Bahnen der Nord-Süd-Verbindungen S1, S2, S25 und S86 an einen anderen. Die Betreiber sollen zusammen 500 Viertelzüge übernehmen und 102 bis 190 selbst neu beschaffen. Die Ringbahnen bleiben bei der DB. Neue Ausfahrten, Werkstätten und Nachtabstellanlagen müssten geschaffen werden und würden Millionen Euro verschlingen. Von SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz bekam die Verkehrssenatorin dafür vorsorglich schon 2018 bis zu 600 Millionen Euro bereitgestellt, „um für Angebote handlungsfähig zu sein“, so lässt es sich im Protokoll des Hauptausschusses vom 21. November 2018 nachlesen. Das ist viel Geld, um aus einem Monopolisten drei zu machen, die sich bei Problemen gegenseitig die Schuld zuweisen. Die benötigten Wagen könnte Berlin am besten und günstigsten selbst kaufen. Mehr noch: Das Berliner S-Bahn-System ist genau wie die Berliner U-Bahn technisch weltweit einmalig, keine Firma kann die zugehörigen Entwicklungen anderswo verkaufen. Wartung und Instandhaltung sind zudem eng mit der Produktion verknüpft. Eine Kommunalisierung von S- und U-Bahn-Produktion – am besten zusammen mit dem Netz – ergäbe einen enormen Systemvorteil für Berlin und die Berliner Fahrgäste.
U-Bahnen statt Straßenbahnen?
Es ist bekannt, dass Straßenbahnen im Vergleich zu U-Bahnen pro ausgegebenem Euro wesentlich mehr Verkehrsleistung schaffen können. Der Ausbau der U5, der zudem noch die parallel verlaufende Stadtbahn kannibalisiert, kostet 180 bis 200 Millionen Euro pro Kilometer. Baukosten für Straßenbahnlinien liegen zumeist 85% niedriger, bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit. Straßenbahnstrecken erschließen zudem die Fläche besser und sind weitgehend barrierefrei. All das ist lange bekannt. Mit den Grünen in R2G blieben 2016 U-Bahn-Bauprojekte zunächst in der Schublade. Vor jeder Regierungsbildung wird U-Bahnbau von Tunnelbauern wie der Firma Herrenknecht stark lobbyiert. Allmählich bröckelt die Standhaftigkeit der Koalition und U-Bahn-Vorhaben werden wieder diskutiert. Man möchte rufen: Bleibt standhaft! Stattdessen sollte die deutlich ökologischere Erweiterung des Straßenbahnnetzes sowie von S-Bahnstrecken ins Umland wesentlich beschleunigt werden.
Batteriebusse statt O-Busse?
Das Berliner Elektrobuskonzept muss als sehr kurzsichtig kritisiert werden. Es wurde auf Batteriebusse gesetzt, die nur einen sehr geringen CO2-Einsparungseffekt generieren. Zudem muss der Betrieb der betroffenen Buslinien wegen der durch die Batterien deutlich kürzeren Laufzeiten von 100 km pro Tag komplett umgestellt werden – ein normaler BVG-Bus fährt am Tag 220 bis 250 Kilometer. Städte wie Salzburg und Lyon machen vor, dass leitungsgebundene O-Busse einen Ausweg aus dem Dieselbetrieb darstellen können – bei gleichzeitig erheblicher CO2-Reduktion.
Autofreie Innenstadt statt mehr Elektroautos
Viele Menschen setzen ihre Hoffnungen auf Elektroautos. Auch in der
Berliner Verkehrspolitik stehen Elektroautos stark im Fokus. Allerdings
sind diese nur dann sinnvoll, wenn sie helfen, den motorisierten
Individualverkehr abzulösen. Danach sieht es im Moment aber nicht aus,
im Gegenteil. Die Autokonzerne haben erkannt, dass sie sich mithilfe der
Elektroautos aus der Imagekrise befreien können. Absurd, aber wahr –
mithilfe einiger tausend verkaufter Elektroautos können sie die alten,
schlimmen Verbrennungsmotoren weiter millionenfach verkaufen. Dazu
kommt, dass mit Elektroautos lokal zwar CO2 reduziert werden kann, die
Ökobilanz wegen der Batterie und des hohen Gewichts aber ähnlich
schlecht ist wie beim Verbrennungsmotor. Auch Feinstaub durch
Reifenabrieb, Flächenverbrauch und die Zahl der durchs Auto Getöteten
bleiben gleich.
Demgegenüber wäre es eine zukunftsweisende Alternative, wenn es Berlin
gelänge, aus einer großen innerstädtischen Zone Autos auszuschließen.
Auch wenn Anwohner/innen großzügige und langjährige Ausnahmen bekommen
würden, könnte das Ein- und Durchfahrverbot für alle einen erheblichen
Klimaeffekt bewirken, erst recht, wenn für den Restverkehr Tempo 30
gelten würde. Vom Ende her gedacht geht es sowieso nur so – weitgehend
ohne Autos. Wenn in 20 Jahren nur ein Viertel weniger Pkw-Verkehr rollt
als heute, werden alle Klimaziele verfehlt. Es ist die Konversion weg
vom Auto, hin zu weniger und anderen Verkehrsarten, die Berlin
hinbekommen muss. Die städtebaulichen Aspekte können kaum überschätzt
werden: Es würden Flächen für Wohnungen, Kitas, Schulen und Grünanlagen
frei. In bisher kaum begehbaren Zonen könnte flaniert, in Hauptstraßen
wieder gesund, ruhig und sicher gewohnt werden. Für eine solche Stadt
werden fast alle zu begeistern sein – auch wer heute noch aufs Auto
angewiesen ist.