Von Herbert Storn
2009 hat der Maastricht-Vertrag von 1992 eine weitere Verschärfung erfahren: Die Bundestagsabgeordneten beschlossen, das Kreditaufnahmeverbot im Grundgesetz zu verankern. Zusammen mit einer Fiskalpolitik, welche die Unternehmen entlastet und dem Staat die notwendigen Einnahmen vorenthält, führt dies zu einer Strangulierung des Staatswesens.
Das ist schon deshalb grotesk, weil mit dem Scheinargument „Generationengerechtigkeit“ das staatliche Kreditaufnahmeverbot als unumgänglich in die Köpfe der Menschen „implantiert“ wurde.
Wie über Sprache manipuliert wird, zeigt sich in der Titulierung „Schuldenbremse.“ Denn, wenn die Einschnürung staatlicher Handlungsspielräume nicht ohnehin wie vorgesehen zu einer Streichung oder Privatisierung öffentlicher Güter führt, wird zunehmend der Umweg über „Schattenhaushalte“ propagiert. Beides zusammen „bremst“ die Schulden nicht, sondern verteuert die Vorhaben und entzieht öffentliche Güter zunehmend der öffentlichen Kontrolle.
Es sollten also alle möglichen Aufklärungsversuche zur Rückeroberung der ökonomischen Vernunft unternommen werden, statt das auch von den Beraterkonzernen empfohlene Hintertürchen „Schattenhaushalt“ zu propagieren.
2009, also vor der Grundgesetzänderung, warnten unter Federführung von Peter Bofinger und Gustav Horn über 200 ProfessorInnen und wissenschaftliche Mitarbeiter eindringlich: „Die Schuldenbremse gefährdet die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Zukunft unserer Kinder“ (gleichnamiges Papier vom 25.5.2009).
2015 positionierten sich im Rahmen der Fratzscher-Kommission DGB und Gewerkschaften warnend.
Und auch die AutorInnen des Ende Juli 2018 erschienenen Papiers „Zukunftsinvestitionen ermöglichen – Spielräume der Schuldenbremse in den Bundesländern nutzen!“ übernehmen die grundsätzliche Kritik, weil alle damals gemachten Prognosen inzwischen empirisch und hautnah („einstürzende Schulbauten“) erfahrbar sind. Das Papier von Sebastian Dullien, Dierk Hirschel, Jan Priewe, Sabine Reiner, Daniela Trochowski, Axel Troost, Achim Truger und Harald Wolf legitimiert dann jedoch bedauerlicher Weise die Überführung eines Teils der geplanten Berliner Schulneubauten und Großsanierungen ins Privatrecht als alternativlose Möglichkeit zur Umgehung der Neuverschuldung.
In einem Streitgespräch der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ende August warnte Daniela Trochowski, Staatssekretärin im brandenburgischen Finanzministerium, unwidersprochen davor, dass das Kreditaufnahmeverbot die nächste Krise noch einmal verschärfen werde.
Die Zeit ist also überreif, die Kritiken an dem staatlichen Kreditaufnahmeverbot von 2009 (später auch in den Verfassungen vieler Bundesländer verankert) auf eine breitere Basis zu stellen.
Vielleicht kann ja diesmal die schwäbische Hausfrau, die nur das ausgeben kann, was sie in der Kasse hat, durch den schwäbischen Häuslebauer ersetzt werden, der sich kaum ohne (Bauspar-)Kredite sein Häusle leisten kann.
Es ist fatal, wenn durch die Einschätzung, dass dieser ideologische Kampf und auch der um ein alternatives Steuerkonzept in absehbarer Zeit nicht gewonnen werden könne, „aus Notwehr“ das Hintertürchen gewählt wird, das zu Schattenhaushalten mit überteuerten Krediten für die nächsten 30 Jahre und einem Transparenz- und Demokratieabbau führt.
Genau dies wird aber in dem Papier von Dullien et al. gemacht: „In diesem Kontext skizziert nachfolgender Beitrag einleitend die kontraproduktive Wirkung der Schuldenbremse und analysiert dann am Beispiel des Berliner Schulbaus die Vor- und Nachteile einer Kreditfinanzierung außerhalb des Kernhaushalts im Rahmen von Öffentlich-Öffentlichen-Partnerschaften (ÖÖP). Bei Abwägung aller Argumente plädieren wir für eine offensive Ausnutzung der trotz der Schuldenbremse weiterhin vorhandenen Spielräume, insbesondere durch ÖÖP, wohl wissend, dass dies von vielen politischen Akteuren als Aufruf zur Bildung von Schattenhaushalten und als verantwortungsloser Verstoß gegen die Schuldenbremse denunziert wird.“
Die durchaus von den Autoren zugestandene Problematik der Gewährleistung von Transparenz und parlamentarischer Kontrolle unter einem solchen Modell erhält noch einmal ein ganz neues Gewicht, wenn die Erfahrungen mit den Auseinandersetzungen um die Berliner Wasserbetriebe einbezogen werden.
Harald Wolf hat dankenswerterweise für die Jahre seiner Regierungsbeteiligung „2002 – 2011: eine (selbst-)kritische Bilanz“ gezogen (Untertitel seines Buches „Rot-Rot in Berlin“, VSA, 2015). Darin beschreibt er auch: „Die Auseinandersetzung um Privatisierung und Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe“ (BWB).
Wolf schildert eindrucksvoll seinen Kampf aus der Opposition gegen die vom SPD-CDU-Senat durchgesetzte Teilprivatisierung. 2002 wurde Wolf als Wirtschaftssenator einer rot-roten Koalition Aufsichtsratsvorsitzender eben dieser privatisierten BWB. Dies veranlasst ihn zur Beschreibung des folgenden Dilemmas: „Mit der Initiative des Wassertischs für einen Volksentscheid zur Offenlegung der Privatisierungsverträge wurde der Widerspruch – Gegner der Privatisierung zu sein und zugleich die damals geschlossenen Verträge exekutieren zu müssen – besonders akut.“ (S. 252) „Dass wir aber versuchten, die ‚Partei außerhalb des Staatsapparates‘ auch in diese Regierungslogik einzubinden, war ein Fehler.“ (S. 252)
Interessant ist dann die folgende Ausführung (Zitat S.253): „Das Spannungsverhältnis zwischen Unternehmensinteresse einerseits und dem öffentlichen Interesse andererseits ist ein grundsätzliches Problem für von einer Kommune oder einem Land entsandte Aufsichtsratsmitglieder. So heißt es in einem Leitfaden für Aufsichtsratsmitglieder: ‚Die entsandten Vertreter einer Gebietskörperschaft unterliegen dabei einem besonderen Zwiespalt zwischen dem öffentlichen Interesse der Gebietskörperschaft einerseits und dem Unternehmensinteresse andererseits. Obwohl es den entsandten Aufsichtsratsmitgliedern näher stehen mag, das Unternehmensinteresse dem der Gebietskörperschaft unterzuordnen, hat der Bundesgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen den Vorrang des Gesellschaftsrechts betont: Der Staat muss, bedient er sich der Freiheiten des privatrechtlichen Wirtschaftens, die dort geltenden Spielregeln einhalten. Dann aber muss er auch akzeptieren, dass das öffentliche Unternehmen ein eigenes – ggfs. von der Gebietskörperschaft verschiedenes – Interesse besitzt. Ein allgemeiner Vorrang der öffentlichen Belange lässt sich nicht begründen. Deshalb sind die in der Gemeindeordnung enthaltenen Aufforderungen, dass bei der Aufsichtsratsausübung auch die Belange und Interessen der Gebietskörperschaft zu beachten seien (vgl. z.B. § 88 Abs. 4 GemO RP), gesellschaftsrechtlich nur als Empfehlungen zu verstehen.‘“ (Verweis auf KPMG, Public governance 2006)
Wenn man Fehler wie bei den Berliner Wasserbetrieben nicht wiederholen will, diesmal bei der Howoge GmbH und der Privatisierung von Schulgebäuden und -grundstücken im Rahmen der sogenannten Berliner Schulbauoffensive, sollten solche Erkenntnisse nicht in den Wind geschlagen werden!
Nicht zuletzt zeigt das desaströse Beispiel des hessischen Landkreises Offenbach mit dem bisher größten ÖPP-Schulprojekt in Europa ganz real, wie einem Landkreis, obwohl sogar Gesellschafter (fünf Prozent) an zwei ÖPP-Gesellschaften, bisher entscheidende Unterlagen der beiden Baukonzerne vorenthalten werden. Aufgrund seines für 15 Jahre eingegangenen Schul-Privatisierungsabenteuers rutschte der Landkreis 2015 vom zweitreichsten zum zweitärmsten Landkreis in Hessen ab. Berliner Politiker haben den BürgerInnen der Stadt schon genügend Finanzlasten mit dem Bankenskandal und der Privatisierung der Wasserbetriebe aufgehalst, so dass sich ein weiteres Abenteuer mit Privatisierungsfolgen verbietet, besonders für einen rot-rot-grünen Senat!
Von Herbert Storn erschien soeben das Buch „Mit Demokratie ernst machen: Für eine radikale ökonomische Aufklärung. Überlegungen zum Politischen Unterricht“ (Büchner-Verlag, 204 Seiten, 22 €). Storn schaut hinter die Fassade unserer Demokratie. Das Buch ist eng verflochten mit dem persönlichen Lebensweg des Autors. In Storns Analysen und Überlegungen gehen fast ein halbes Jahrhundert konkreter Erfahrungen als Lehrer an einer Beruflichen Schule in Frankfurt am Main, als aktiver Gewerkschafter und als Lehrer-Hauptpersonalrat beim hessischen Kultusministerium ein.
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