Liebe Freundinnen und Freunde der Gemeingüter,
plötzlich sind die Zeitungen voll. Der ÖPP-Betreiber A1 mobil soll so gut wie pleite sein. Fast drei Jahre lang haben wir gegen die Reform der Autobahnen gekämpft. Immer wieder haben wir davor gewarnt, dass mit der neuen Autobahngesellschaft öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPPs) Tür und Tor geöffnet werden sollen und dass diese ÖPPs teuer und gefährlich sind. Die Regierung hat das heruntergespielt und weitgehend sogar geleugnet. Am Ende hat sie die Grundgesetzänderung durchgesetzt, die sie wollte und die künftig ÖPP wie vom Fließband möglich macht.
Vor einer Woche haben wir nun erfahren: Die ganzen drei Jahre wusste der maßgebliche Minister, Bundesverkehrsminister Dobrindt, dass mindestens vier laufende Autobahn-ÖPPs eine gewaltige Kostenexplosion bergen. Die Minister Schäuble und Gabriel hatten vermutlich auch Kenntnis von diesen Problemen.
Nun, nachdem das Grundgesetz geändert wurde und es damit gut aussieht für künftige Geschäfte der ÖPP-Konzerne, wollen die Kapitalgeber auch ihre alten Verträge vergolden. Das Absurde ist: In den alten Verträgen stehen gar keine hohen Gewinngarantien drin! Die Privaten erheben einfach völlig neue Gewinnforderungen. Und wie es aussieht, werden sie diese Forderungen auch durchboxen. Denn der Staat hat die betroffenen Autobahnabschnitte völlig aus der Hand gegeben, und die Politik fürchtet nun chaotische Zustände im Falle von Insolvenzen.
Im Zusammenhang mit der möglichen A1-mobil-Insolvenz kommen weitere hochinteressante Fakten ans Tageslicht: So war von Anfang an von Staat und Privaten gemeinschaftlich akzeptiert, dass die Zinszahlungen an die Banken höher liegen als die eigentliche Investitionssumme (519 Millionen Euro für Zinsen gegenüber knapp 400 Millionen Euro für den Ausbau von vier auf sechs Spuren).
Was wäre gewesen, wenn diese Meldung schon im Mai in die Presse gekommen wäre? Das Grundgesetz wäre kaum in der vorliegenden Form geändert worden. Daher fordern wir: Die Abstimmung muss sofort wiederholt werden! Es darf nicht sein, dass die Einzelinteressen von zwei, drei Ministern dazu führen, dass unser Grundgesetz im Sinne der großen Kapitalanleger derart deformiert bleibt.
Sie können helfen, dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Schreiben Sie noch heute an ihre Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD. Am Ende dieses Infobriefes haben wir einen Musterbrief bereitgestellt. Statt blumige Wahlkampfversprechen zu machen, können CDU/CSU und SPD schon nächste Woche im Bundestag das ÖPP-Rad zurückdrehen!
Katrin Kusche und Carl Waßmuth
für das Gemeingut-Team
PS: Vielfach hat GiB in den letzten Jahren auf die Probleme der A1 mobil GmbH hingewiesen, so zum Beispiel in den Faktenblättern 8 (Januar 2012) und 13 (Mai 2014). Eine der Schieflagen bei A1 mobil GmbH war von Anfang an, dass das haftende Eigenkapital der GmbH nur 35.000 Euro beträgt. Darauf haben wir bereits 2012 (!) in einer Bundestagsanhörung hingewiesen.
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PRESSESCHAU (Auswahl)
23. August. GiB-Pressemitteilung: „ÖPP-Projekt A1 entpuppt sich als tickende Kostenbombe. Hat Minister Dobrindt vor der Grundgesetzänderung den Rechtsstreit verheimlicht?“ Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth kommentieren die Insolvenz-Drohung der ÖPP-Investoren.
23. August. Auf Spiegel online zitiert David Böcking in seinem Beitrag „Das öffentlich-private Autobahndesaster“ Carl Waßmuth zu den grundlegenden Missständen des ÖPP-Projekts A1/Hansalinie.
23. August. Im Deutschlandfunk gibt Prof. Dr. Holger Mühlenkamp in einem Interview Auskunft über die Sinnhaftigkeit von ÖPP und das Risiko des Bundes. Mühlenkamp stellt auch den Zusammenhang mit der Schuldenbremse dar.
23. August. Die Sendung „WDR aktuell“ berichtete über das Finanzgesuch der A1 mobil GmbH und spielte in einem Bildbeitrag einen Kommentar von Laura Valentukeviciute zur Erpressbarkeit des Staates durch ÖPP-Projekte ein: „Der Staat ist derjenige, der letztendlich für alles haften wird. Weil der Staat Autobahnen nicht einfach schließen kann, sie müssen funktionieren – er ist in dem Moment erpressbar.“ (leider nicht mehr in der Mediathek abrufbar).
24. August. „Geisterfahrer Dobrindt“: In der jungen Welt greift Simon Zeise auf Zitate aus der Pressemeldung von Gemeingut in BürgerInnenhand zurück.
28. August. Der Journalist Kai Schlieter enthüllt in der Berliner Zeitung neue Fakten zum A1-mobil-Skandal und beschreibt, wie der Staat von den ÖPP-Kapitalgebern unter Druck gesetzt wird.
Toll Collect
15. August. Steht das nächste ÖPP-Desaster vor der Tür? Im Kölner Stadt-Anzeiger berichtet Thorsten Knuf unter der Überschrift „Toll Collect Daimler vor dem Ausstieg“ über aktuelle Entwicklungen.
Schulprivatisierung
12. August. Der Tagesspiegel berichtet: “Berliner Sanierungsstau. Bezirke wollen keine Schulbau-GmbHs“.
16. August. Doch die „Rebellion“ in den Berliner Bezirken ist leider noch begrenzt, wie Katrin Kusche in einem Artikel für Gemeingut in BürgerInnenhand analysiert.
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MUSTERBRIEF
an Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD im Bundestag
(Die E-Mail-Adressen der Bundestagsabgeordneten finden Sie hier.)
Sehr geehrte Frau Abgeordnete ….,
Sehr geehrter Herr Abgeordneter …,
wie vor wenigen Tagen bekannt wurde und überall der aktuellen Presse zu entnehmen ist, steht bei den privaten Betreibern, die in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) das Autobahn-Teilstück der A1 zwischen Hamburg und Bremen (Länge 72,5 km) ausgebaut haben, der Konkurs bevor. Das private Konsortium A 1 mobil klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Nachforderungen von über 800 Millionen Euro.
Bisher wurde genau dieses ÖPP-Projekt gern als Vorzeige-Pilotprojekt dargestellt, mit dem von Regierungsseite auf die angebliche Effizienz öffentlich-privater Partnerschaften hingewiesen wurde.
Wider besseres Wissen, wie sich erst jetzt auch für die Öffentlichkeit herausstellt, denn die Schwierigkeiten beim Konsortium A 1 mobil sind keineswegs neu: Sie bestehen seit mindestens 2009, sie waren der seit 2013 amtierenden Bundesregierung von Anfang an bekannt. Seit 2013 hat das Bundesverkehrsministerium bereits zwei Schlichtungsprozesse vor einem nicht-öffentlichen Schiedsgericht geführt: „Alexander Dobrindt weiß seit vier Jahren davon, dass das Konsortium A 1 mobil am Rand der Pleite steht“, schreibt die Berliner Zeitung vom 28.8.2017.
Dieses Wissen hat der Verkehrsminister nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit verschwiegen, er hat es offenbar auch den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorenthalten. Anders kann man sich das Abstimmungsverhalten kaum erklären, mit dem die Mehrheit Ihrer Fraktion am 1. Juni 2017 der Grundgesetzänderung von Art. 90 zugestimmt hat, mit der ÖPP-Projekte nun sogar Eingang ins Grundgesetz gefunden haben: Es dürfen ja jetzt laut Grundgesetz Autobahnstrecken bis zu 100 km in öffentlich-privater Partnerschaft gebaut und betrieben werden.
Ihre Fraktion hat bei der Zustimmung zu dieser Grundgesetzänderung und den weiteren Gesetzesvorlagen am 1.6.2017 offenkundig der Bundesregierung bzw. dem Verkehrsminister vertraut, der ÖPP trotz gegenteiligen Wissens stets weiter als effizient und kostensparend angepriesen hat. Sie haben ihm mehr vertraut als der informierten Öffentlichkeit, die immer wieder vor diesem für das Gemeinwohl stets schädlichen Geschäftsmodell gewarnt hat.
Er hat Ihnen dabei aber wesentliche Informationen vorenthalten und Sachverhalte unzulässig geschönt. Die Bundesregierung hat Sie als MdB einfach nicht redlich informiert!
Die neue Infrastrukturgesellschaft ist so angelegt, dass für beliebig viele Autobahnteilstücke von 100 km Länge gigantische Mehrkosten für die öffentliche Hand, also für die Bevölkerung insgesamt, vorprogrammiert sind! Denn entgegen Regierungsbehauptungen erzeugen ÖPP-Projekte ausnahmslos gewaltige Mehrkosten, die bei der geplanten Maut schnell eingepreist werden.
Ich fordere Sie als Mitglied des Bundestages auf:
Verlangen Sie die Wiederholung der Abstimmung vom 1.6.2017 im Deutschen Bundestag!
Denn welche Gültigkeit hat eine Grundgesetzänderung, bei der relevante Informationen vor der Abstimmung geheimgehalten worden waren?
Verlangen Sie von der Bundesregierung vollständige Offenlegung aller einschlägigen Informationen zu den vier in Schieflage geratenen Autobahn-ÖPP-Projekten!
Mit freundlichen Grüßen