Ein Videomitschnitt der öffentlichen Anhörung im Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages zur „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ vom 27.3.2017 kann jetzt auf youtube angesehen werden: https://www.youtube.com/watch?v=U2c80Zen5Fs
Laura Valentukeviciute von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) spricht an folgenden Stellen: 17:30-25:00, 51:06-57:31 und 2:38:00-2:46:00
Die Zusammenfassung der wichtigsten Argumente der Sachverständigen veröffentlichte „Heute im Bundestag“:
Experten sehen Gefahr der Privatisierung
Berlin: (hib/HAU) Bei der im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geplanten Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr besteht aus Sicht mehrerer Experten die Gefahr einer Privatisierung der Autobahnen „durch die Hintertür“. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Haushaltsauschusses am Montag deutlich. Grundlage der Anhörung bildeten die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes (18/11131, 18/11186) und zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften (18/11135, 18/11185). Vorgesehen sind unter anderem Änderungen im Artikel 90 des Grundgesetzes, um die Verwaltung, Bau und Betrieb der Bundesautobahnen in die Hände des Bundes zu legen. Derzeit sind dafür die Länder in Auftragsverwaltung zuständig. Der Bund soll dazu eine Gesellschaft privaten Rechts einsetzen können. Festgeschrieben werden soll zudem, dass Autobahnen und Gesellschaft im unveräußerlichen Bundeseigentum bleiben.
Die in den Gesetzentwürfen enthaltenen Privatisierungsschranken seien unzureichend, urteilte Professor Thorsten Beckers von der Technischen Universität Berlin. Beckers skizzierte vier Wege, auf denen das Privatisierungsverbot aus seiner Sicht umgangen werden könnte. So unter anderem über Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP), wenn diese das gesamte Autobahnnetz oder auch einen hohen prozentualen Anteil des Netzes umfassen würden. Unklar sei auch, ob die laut Gesetz zu gründenden Tochtergesellschaften privatisiert werden dürften. Dies müsse im Gesetz ausgeschlossen werden, forderte er.
Wenn mit dem geplanten öffentlich-rechtlichen Nießbrauchsrecht, alle Rechte an den Autobahnen an die Gesellschaft übergehen würden, entleere man die im Gesetz enthaltene Aussage, wonach die Bundesrepublik Deutschland Eigentümer der Straßen ist, sagte Professor Georg Hermes von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Übertrage man der Infrastrukturgesellschaft das wirtschaftliche Eigentum an den Autobahnen, laufe das auf ein Geschäftsmodell hinaus, bei dem es nicht um die Bereitstellung von Autobahnen als staatliche Daseinsvorsorge geht „sondern um das entgeltliche Zurverfügungstellen“ von Autobahnen. „Das nennt man Privatisierung“, sagte Hermes.
Auch Professor Christoph Gröpl sieht in den Vorlagen die Gefahr, „dass eine Privatisierung geplant ist“. Wenn der Gesetzgeber das nicht möchte, müsse er das klarstellen, betonte er.
Mit den Gesetzesänderungen würden ÖPPs stark vorangetrieben, obwohl die gemachten Erfahrungen nicht gut seien, kritisierte Laura Valentukeviciute vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. Autobahnbau mit ÖPP sei weder kostengünstiger noch schneller, sagte sei. Zudem schränke ÖPP die parlamentarische Kontrolle ein. Valentukeviciute bemängelte zudem, dass mit der Infrastrukturgesellschaft Verkehr „öffentliche Schulden versteckt werden“.
Für die Gründung von Tochtergesellschaften, wie im Gesetz geplant, gibt es aus Sicht des Bundesrechnungshofes (BRH) „keinen guten Grund“. Dies würde lediglich zu höheren Kosten führen, sagte BRH-Vertreterin Romy Moebus. Ausreichend wären nach Ansicht des BRH auch Außenstellen der Gesellschaft, um in der Fläche vertreten zu sein. Was die Frage der Privatisierung angeht, so hält der BRH es für sinnvoll, einzelne Strecken „funktional zu privatisieren“. Eine Privatisierung von Teilnetzen müsse aber gesetzlich ausgeschlossen werden.
Von den Erfahrungen mit der Gründung einer Autobahngesellschaft in Österreich berichtete Klaus Schierhackl, Vorstand bei der ASFINAG. Er rate von einer zu starken Beteiligung der einzelnen Bundesländer ab. „Das kann wirklich sehr hinderlich sein“, sagte er. Statt 16 Regionalgesellschaften sollte man sich auf Deutschland Nord und Deutschland Süd beschränke, empfahl er.
Auch Dietrich Drömann, Experte für Vergaberecht in der Wirtschaftskanzlei Graf von Westfalen, plädierte für einen Verzicht auf Regionalgesellschaften. „Es sollte an dem Gedanken einer einheitlichen Leitung unter Verzicht auf regionale Gesellschaften festhalten werden“, sagte er. Die Länder, so seine Einschätzung, sollten auch keine Minderheitsbeteiligungen erhalten.
Auf die Situation der Beschäftigten eingehend, sagte Verdi-Vertreter Wolfgang Pieper, im Gesetz werde versucht, die Ansprüche der Beschäftigen im Falle der Gründung einer Autobahngesellschaft abzusichern. Problematisch sei jedoch das zersplitterte Tarifrecht, dass Fragen von Arbeitszeit und Vergütung derzeit in den Ländern unterschiedlich regle. Es müsse gewährleistet werden, dass die Ansprüche der Beschäftigten auch im Tarifvertrag mit der neuen Gesellschaft gewahrt bleiben, forderte der Gewerkschaftsvertreter.
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Stenografisches Protokoll der 101. Sitzung (einzusehen unter: https://www.bundestag.de/blob/501270/e2813334ce4acef2dec3bdb72c25f36c/101_protokoll-data.pdf)
Haushaltsausschuss
Berlin, den 27. März 2017, 11.00 Uhr
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Raum 3.101
10557 Berlin, Adele-Schreiber-Krieger-Str. 1
Vorsitz: Dr. Gesine Lötzsch, MdB
Tagesordnung – Öffentliche Anhörung
Thema: Infrastrukturgesellschaft Verkehr
Auszüge mit den Fragen der Fraktion Die Linke und den Antworten der Sachverständigen Laura Valentukeviciute von GiB:
[…]
Roland Claus (DIE LINKE):
Meine Fragen gehen an Frau Valentukeviciute, die den Verein Gemeingut in BürgerInnenhand vertritt. Die erste Frage betrifft die von Ihnen vermutete und kritisierte Option des Einstiegs in die Privatisierung von Autobahnen. Sie haben das Ringen im Parlament um die beabsichtigte Grundgesetzänderung ja miterlebt. Es hat auch noch eine Änderung im Ansatz gegeben. Die vielen Befürworter des jetzigen Vorschlages sind sich ziemlich sicher, dass sie mit dem Begriff „im unveräußerlichen Besitz des Bundes“ alle Probleme geheilt hätten. Wo sehen Sie dennoch die Gefahren, die Sie mit dem Begriff „Einstieg in die Privatisierung“ verbinden? Fühlen Sie sich von den Argumenten des Bundesrechnungshofs unterstützt oder eher nicht?
Die zweite Frage betrifft das Instrument der öffentlich-privaten Partnerschaften. Da erleben Sie wie wir, dass gerade nichtwohlhabende Kommunen an diesem Instrument oftmals nicht vorbeikommen, weil sie nicht in der Lage sind, eigene Anteile aufzubringen. Warum ist es aus Ihrer Sicht keine passende Version für den Bau, die Sanierung und den Betrieb von Autobahnen?
Sachverständige Laura Valentukeviciute (Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V.):
Zu Ihrer ersten Frage. Wir begrüßen es sehr, dass die Privatisierung, also der direkte Verkauf von An-teilen an dieser Gesellschaft und damit an den Autobahnen, nicht mehr im Gesetzentwurf enthalten ist. Aber es gibt eine materielle Privatisierung nicht nur auf der Gesellschaftsebene, sondern es gibt auch andere Formen der materiellen Privatisierung, und diese sind nach wie vor im Gesetzentwurf enthalten. Es gibt zum Beispiel den Verkauf von Tochterfirmen und Beteiligungen an diesen Tochterfirmen, es gibt stille Beteiligungen und andere eigenkapitalähnliche Anlageformen, es gibt die Aufnahme von Fremdkapital.
Vor allem gibt es die Privatisierungsform der öffentlich-privaten Partnerschaften, ÖPPs. Diese wird sehr stark vorangetrieben. ÖPPs sind -das muss man wissen -seit über zehn Jahren die wichtigste Privatisierungsform in Deutschland. Jürgen Fitschen, der Ex-Vorstand der Deutschen Bank, hat in der sogenannten Fratzscher-Kommission mitgearbeitet, die Herr Gabriel 2014 ein-berufen hatte. Er soll dort gesagt haben, man brauche keine direkte Beteiligung, wenn man die Möglichkeit des Einsatzes von ÖPPs habe. Diese Kommission hat dann die Vorschläge erarbeitet, die in diesem Grundgesetzentwurf enthalten sind. Unter anderem hat die Kommission vorgeschlagen, solche Beteiligungsmöglichkeiten wie ÖPPs zu schaffen.
Das von der Kanzlei Graf von Westphalen veröffentlichte Gutachten bestätigt, dass durch diese Konstruktion auch Versicherungen und Banken Zugang zur Autobahnverwaltung ermöglicht werden soll. Das heißt, die Autobahnen, die zur Daseinsvorsorge zählen, werden für diese Institute als Renditeobjekt dienen. Über diese Frage wurde öffentlich noch nicht einmal diskutiert. Wie wir wissen, sind private Rentenversicherungsformen wie die Riester-Rente oder die Rürup-Rente längst gescheitert. Jetzt will die Regierung die angeblich notleidenden Großkonzerne, die auf diese Produkte gesetzt haben, über Steuern und Maut-gebühren retten. Ob dieses Vorhabeneine Mehrheit in der Gesellschaft hätte, ist sehr zu hinter-fragen. Das müsste man erst einmal diskutieren.
Es gibt, wie gesagt, mehrere Formen der Privatisierung. Wenn man all diese Formen ausschließen möchte, dann muss man auch über alle diskutieren. Die SPD sagt, man könne noch einige Änderungen vornehmen; indem man einige Privatisierungsmöglichkeiten ausschließe, könne man sozusagen einige Giftzähne ziehen. Wir denken, man müsste schon den ganzen Kiefer her-ausoperieren, um alle auszuschließen. Das ist nicht praktikabel, vor allem nicht in dieser kurzen Zeit.
Sie fragten nach der Kritik des Bundesrechnungshofes. Wir begrüßen es sehr, dass der Bundes-rechnungshof die Ausweitung der ÖPPs kritisiert. Wir schließen uns dieser Kritik an; wir haben sie mehrfach zitiert. Der Bundesrechnungshof ist ein wichtiges Sprachrohr in dieser Debatte. Wir finden es auch sehr problematisch, dass die Rechte des Bundesrechnungshofs mit diesem Gesetzentwurf wahrscheinlich sehr beschränkt werden bzw. gar keine Rechte vorgesehen sind. Das werden Sie wahrscheinlich noch erläutern.
Zur zweiten Frage, warum ÖPPs für den Bau und den Betrieb von Autobahnen keine passende Variante sind. ÖPPs im Autobahnbau kennt man, auch dank des Bundesrechnungshofes, schon seit Jahren. Man hat damit keine gute Erfahrung gemacht. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes – das sind die mittelständischen Unternehmen – und der Bundesrechnungshof stellen fest, dass dies eine sehr teure Form der Autobahnverwaltung ist. Stand 2016 ist, dass 3,6 Prozent aller Autobahnstrecken als ÖPP-Projekte geführt werden, dafür aber 8,8 Prozent des gesamten Budgets für Autobahnen ausgegeben werden. Es ist also eine teure Variante. Dass die Kosten höher sind, ist schon mehrmals belegt worden. Deswegen greift das Argument, ÖPPs seien günstiger, nicht mehr.
Man geht stattdessen zu dem Argument über, ÖPPs seien schneller. Dass aber auch das nicht der Fall ist, kann man inzwischen belegen. Ein Beispiel: Das Verkehrsministerium bestand da-rauf, die Arbeiten an der A7 nicht konventionell auszuschreiben, sondern das Projekt per ÖPP zu machen. Das hat dazu geführt, dass sich die Ausschreibung und das ganze Verfahren um acht Jahre verzögert haben. Der Bau hat noch immer nicht begonnen, obwohl das Jahr 2008 im Gespräch war.
Durch eine Ausweitung der ÖPPs wird insbesondere auch Ihre parlamentarische Kontrolle sehr stark eingeschränkt. Zum Beispiel hat der Kollege von den Grünen, der Abgeordnete Hofreiter, versucht, die ÖPP-Verträge einzusehen. Das hat nicht wirklich gut geklappt. Er hat weiterhin beklagt, dass man im Parlament über diese Projekte und Verträge nicht im Detail sprechen darf. Durch diese ÖPP-Projekte droht auch Personalabbau. Man kennt das zum Beispiel aus Großbritannien; dort ist es vielfach belegt. Wenn das Personal in den Verwaltungen, in den Straßenbau-meistereien erst einmal abgebaut ist, dann kann man einen solchen Personalstamm nach 25 oder 30 Jahren nicht so schnell wieder aufbauen. Das führt dazu, dass, wie in Großbritannien, ÖPP-Verträge immer und immer wieder verlängert werden müssen, weil die Kapazitäten für die konventionelle Vergabe fehlen, und zwar langfristig.
Es zeigt sich in diesem Gesetzentwurf, dass ÖPPs massiv gefördert werden. Er stellt eine massiv an-gelegte ÖPP-Offensive dar. Dabei stellen ÖPPs eine teure Variante dar. Man kann sich das aus-rechnen: Für 3,6 Prozent der Autobahnstrecken werden 8,8 Prozent des Budgets ausgegeben. Wenn man das auf das ganze Volumen von 13000 Autobahnkilometern hochrechnet, dann könnte man sagen, dass in Zukunft 240 Prozent des Geldes für Autobahnen ausgegeben werden muss, was heute dafür ausgegeben wird.
Zum Schluss noch ein Wort zu einem bereits bestehenden Maut-ÖPP-Projekt in Deutschland. Dieses Projekt heißt Toll Collect. Wir alle wissen, dass wir damit schlechte Erfahrung gemacht haben. Die Bundesregierung streitet sich bis heute zum Beispiel über Schadenersatzzahlungen. Man muss die Frage klären, wie man mit solchen Problemen umgeht, bevor man ein weiteres Mautprojekt startet.
[…]
Herbert Behrens (DIE LINKE):
Meine beiden Fragen gehen an die Kollegin Valentukeviciute. Es geht um die Frage des Beteiligungsprozesses und des Vorbereitungsprozesses. Wir wissen, dass das Ganze ursprünglich schon in der nächsten Woche unter Dach und Fach gebracht werden sollte. Nun gibt es offenbar auch innerhalb der Großen Koalition Bedenken gegen diesen Zeitplan. Die Stellungnahmen und das bisher Gehörte machen deutlich, dass es offenbar größere Probleme gibt, die zumindest aus meiner Sicht in acht Wochen nicht zu lösen sind. Sie kritisieren in Ihrer Stellungnahme, dass es den Prozess der Legitimation nicht in der erforderlichen Weise gegeben hat. Wir haben vor einem Jahr eine Bürgerinitiative gegründet, die von 265 000 Menschen unterstützt wird und in der gefordert wird, dass es zu keiner Privatisierung der Autobahnen und des Verkehrsnetzes kommen darf. Meine erste Frage ist: Was ist die konkrete Kritik an dieser fehlenden Legitimation?
Wer hätte noch dazugehört, um dieses Verfahren zu begleiten und seine Position einzubringen? Ich möchte Sie bitten, das vor dem Hintergrund des sehr zügigen Gesetzgebungsverfahrens zu erläutern. Meine zweite Frage bezieht sich auf das, was Herr Schierhackl eingangs schon gesagt hat: Wie muss eine entsprechende Gesellschaft strukturiert sein? Sehen Sie aus Ihrer Sicht, dass die ASFINAG als Vorlage dafür dienen kann, die Autobahnverwaltung in Deutschland zu finanzieren und umzusetzen?
Sachverständige Laura Valentukeviciute (Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V.):
Wir kritisieren diesen Prozess schon seit 2014, als Herr Gabriel die sogenannte Fratzscher-Kommission ins Leben gerufen hat. Neben den Vertretern von Versicherungen, Banken und Bauindustrie waren auch Vertreter der Gewerkschaften dabei. Die Gewerkschaften haben sich am Ende des ganzen Prozesses 2015 von dem Abschlussbericht distanziert und ein Sondervotum eingebracht. Dieses Sondervotum wurde aber nicht beachtet; so viel zur Legitimation im ersten Schritt des ganzen Prozesses.
Des Weiteren: Als der Gesetzentwurf schon Form angenommen hatte, haben sieben Landtage den Beschluss gefasst, den inoffiziellen Vorschlag abzulehnen. Alle 16 Verkehrsminister der Bundes-länder haben sich gegen diesen Vorschlag gestellt und gesagt: Wir wollen diese Zentralisierung nicht. All das wurde nicht berücksichtigt.
Auch im Koalitionsvertrag steht etwas anderes als das, was jetzt vorliegt. Im Koalitionsvertrag steht, dass der Bund zusammen mit den Ländern Vorschläge erarbeiten soll. Die Länder haben eigene Vorschläge gemacht. Vom Bundesrat kamen zum Schluss noch 70 Vorschläge. Das ist alles nicht berücksichtigt worden. Allein die Ministerpräsidenten waren für dieses Vorhaben. Dafür werden sie bekanntlich Geld bekommen: 9,75 Milliarden Euro jährlich ab 2020.
Das Vorhaben wurde auch von vielen gesellschaftlichen Akteuren kritisiert, zum Beispiel vom ADAC, von einigen Gewerkschaften, Um-weltverbänden und dem mittelständischen Bau-gewerbe. Allein die großen Konzerne der Bauindustrie und die Versicherungswirtschaft haben diesen Gesetzentwurf begrüßt. Wir finden, das ist keine Grundlage für eine Grundgesetzänderung.
Außerdem gab es bisher keinen Parteitagsbeschluss zu diesem Entwurf. Weder CDU, CSU noch SPD haben einen Parteitag dazu veranstaltet und ihre Mitglieder dazu zu Wort kommen las-sen. Es gibt mittlerweile einen Aufruf der SPD, der sich gegen diese Zentralisierung wendet. Ihn haben schon 32000 SPD-Mitglieder unterschrieben. Das sind circa 7 Prozent. In Berlin würde das als Quorum für ein Volksbegehren ausreichen.
Als ein sehr großes demokratisches Problem sehen wir an, dass das ganze Vorhaben nur in einem Gesamtpaket zu haben ist. Würde über die 13 Änderungen einzeln abgestimmt, gäbe es da-für keine Mehrheit. Es gibt hier nur einen gemeinsamen Nenner, weil das Ganze in einem Gesetzentwurf zusammengefasst ist. Bei einer Ab-stimmung über die einzelnen Artikel würde keiner eine Zweidrittelmehrheit erhalten.
Die SPD bekommt die Lockerung des Kooperationsverbotes und 3,5Milliarden Euro für die Kommunen zur Finanzierung der Bildung. Die CDU bekommt die Autobahnprivatisierung, und die CSU erhält die sogenannte Ausländermaut. Die Länder bekommen mehr Geld. Dieses Tauschgeschäft ist einer Demokratie völlig unwürdig.
Auch den Zeitdruck kritisieren wir sehr stark. Es kann nicht sein, dass die Bundesländer mit dem Bund schon über drei Jahre darüber diskutieren, aber die Abgeordneten den Gesetzentwurf inner-halb weniger Monate -seit er im Dezember letzten Jahres vom Kabinett verabschiedet worden ist-verabschieden sollen. Das finden wir sehr problematisch.
Zu Ihrer zweiten Frage, ob wir meinen, dass sich das Modell ASFINAG als Vorbild für die deutsche Autobahngesellschaft eignen würde. Erstens. Wir werden nicht das bekommen, was die ASFINAG in Österreich ist. Zweitens. Auch in der ASFINAG gibt es Elemente, die wir kritisieren.
Warum werden wir nicht das Modellbekommen, das der ASFINAG zugrunde liegt? Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass die Gesellschaft fast grenzenlos Kredite ohne Staatsgarantien aufnehmen kann. Die ASFINAG kann Kredite mit Staatsgarantie aufnehmen. Das heißt, sie zahlt niedrige Zinsen für ihre Kredite.
Außerdem soll die Infrastrukturgesellschaft Verkehr im Gegensatz zur ASFINAG ÖPP-Projekte durchführen dürfen und können. Das macht die ASFINAG nicht mehr, nachdem sie schlechte Erfahrungen mit einem einzigen ÖPP-Projekt gemacht hat. Wie viele ÖPP-Projekte müssen wir hier durchführen, bis diese abgeschafft werden?
Für die ASFINAG dienen die österreichischen Autobahnen faktisch als Sicherheit für die Kredite. In Deutschland ginge das nicht, weil die Autobahnen nach diesem Gesetzentwurf laut Grund-gesetz unveräußerlich im Eigentum des Bundes bleiben sollen.
Die Kritik an der ASFINAG -das ist auch eine Kritik an der geplanten Grundgesetzänderung -besteht darin, dass sowohl ASFINAG als auch die Infrastrukturgesellschaft Verkehr Schulden verstecken dürfen sollen. 2009 wurde die Schuldenbremse eingeführt. Deswegen dürfen keine Schulden mehr gemacht werden. Was passiert jetzt? Es ist geplant, eine Neuregelung ins Grundgesetz aufzunehmen, nach der eine Schuldenaufnahme oder, genauer gesagt, die Umgehung der Schuldenbremse ermöglicht werden soll. Das gilt ausschließlich für den Ausbau der Autobahnen.
Das ist ein ziemlich kontraproduktives und absurdes Vorgehen. Man dürfte sich nicht Strategien zur Umgehung der Schuldenbremse überlegen, sondern man müsste darüber nachdenken: Wie verändern wir das Grundgesetz, um wirklich notwendige Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge zu ermöglichen? Eine solche Ausnahme gab es schon einmal. Sie hieß „Goldene Regel“. Die Einführung einer solchen Regel wird befürwortet, zum Beispiel vom Sachverständigenrat. Vielleicht könnte man sich überlegen, das Grundgesetz sinnvoll zu ändern, um das zu ermöglichen.
Herbert Behrens (DIE LINKE):
[…]
Gutachter Professor Hermes hat ziemlich deutlich gemacht, dass das genannte Ziel, schneller, billiger und effizienter zu bauen, auf jeden Fall mit diesem Gesetz so nicht erreicht werden kann; vielmehr sind die Beteiligung privaten Kapitals zur besseren Verwertung und das Heraushalten von Politik wesentliche Motive für dieses Gesetz. Gleichwohl muss nicht alles so bleiben, wie es ist. Darum meine abschließende Frage an die Kollegin Valentukeviciute: Könnten Sie kurz darstellen, welche Alternativen zu dem geplanten Vorhaben zu diskutieren sind? Was muss kommen, wenn die Autobahninfrastrukturgesellschaft so nicht realisiert werden kann, weil ein Koalitionspartner vielleicht doch zu der Einsicht gekommen ist, bei der Grundgesetzänderung nicht mitzumachen? Meine letzte Frage geht über das Thema Autobahnfinanzierung hinaus: Was sind die absehbaren Auswirkungen der Reform, der Grundgesetzänderung auf die öffentliche Daseinsvorsorge insgesamt?
Sachverständige Laura Valentukeviciute (Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V.):
Zu den Alternativen. Alternativen haben auch die Verkehrsminister der Länder erarbeitet. Sie haben vor allem vorgeschlagen, das System nicht umzubauen, sondern Veränderungen, Verbesserungen im bestehenden System durchzuführen. Die Länder haben Erfahrungen damit, was gut läuft und was schlecht läuft. Sie haben zum Beispiel gesagt: Es wäre gut, die Planungssicherheit zu erhöhen, zum Beispiel durch die Einführung des Überjährigkeitsprinzips, oder Personal für Verwaltungs-und Planungskapazitäten aufzubauen.
Zum Personalbereich. Der Bund übernimmt derzeit 3 Prozentder Planungskosten. Es wäre schon eine große Verbesserung, wenn der Bund 17 bis 20 Prozentübernehmen würde. Damit könnten die Länder viel besser arbeiten. Zu den Finanzierungsalternativen. Es gibt keine Alternative zur öffentlichen Finanzierung. Wir wissen, dass es fünf Wege gibt, in Zeiten der Schuldenbremse Investitionen aus Mitteln der öffentlichen Hand zu tätigen: die Schuldenbremse ignorieren, die Schuldenbremse umgehen, Einsparungen in anderen Bereichen vornehmen und die Gelder entsprechend umschichten, die Einnahmen erhöhen oder die Schuldenregeln reformieren. In allen diesen Fällen geschieht das mit öffentlichen Geldern bzw. durch die öffentliche Hand. Der Unterschied besteht darin, wie das ausgestaltet wird, welche Kredite, private oder öffentliche, aufgenommen werden, welche Form die Verschuldung annimmt, welche Kosten die Zinslast hervorruft, wie transparent das Ganze ist und ob es demokratisch legitimiert ist und wie die Kontrolle des Parlaments aussieht. Darüber haben wir ja diskutiert.
Es gibt keine Möglichkeiten, am öffentlichen Haushalt vorbeizufinanzieren. Die Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge und die Infrastruktur müssen in der öffentlichen Hand bleiben; denn sie werden mit öffentlichem Geldfinanziert. Weswegen sage ich das? ÖPP-Finanzierungen zum Beispiel sind teure Geschenke an Private; denn die öffentliche Hand zahlt das Ganze von unserem Steuergeld. Man sollte nicht mehr darüber reden, wie man mit solchen teuren Geschenken und der teuren Beteiligung Privater die Schuldenbremse umgehen könnte. Vielmehr sollte man sich Gedanken darüber machen, welche Grundgesetzänderungen möglich wären, um Investitionen in die Infrastruktur durch die öffentliche Hand sinnvoll durchführen zu können. Man sollte auch nicht versuchen, das umzubenennen. Denn Fakt ist: Es gibt keine andere Finanzierung.
Was wären die absehbaren Auswirkungen, würde die Reform nicht zustande kommen? Dann würde den Bürgerinnen und Bürger nichts Schlimmes passieren. Wieso auch? Für die Regelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs hat man noch zwei Jahre Zeit. Wir reden über einen Zeitraum ab 2020, das heißt, man könnte auch noch in der nächsten Legislaturperiode über sinnvolle Reformen sprechen.
Zum Versprechen, den Kommunen 3,5 Milliarden Euro für die Bildungsinfrastruktur bereitzustellen. Diese Gelder sind bereits im Nachtrags-haushalt 2015 enthalten, sie müssten nur ausgegeben werden. Es gibt daher keine Notwendigkeit, noch etwas zu beschließen. Selbst die Zentralisierung könnte man schon heute durchführen, weil das Grundgesetz schon jetzt eine Zentralisierung erlaubt. Dafür braucht man keine Änderung; denn gemäß Artikel 90 Grundgesetz können die Länder auf Wunsch die Auftragsverwaltung an den Bund abgeben.
Was wird passieren, wenn wir die Reform tatsächlich durchführen? Die Macht wird zentralisiert, und nicht nur das: Sie wird verlagert, vom Bund und den Ländern auf die privaten Akteure. Das sinnvolle und funktionierende föderale System würde aufgebrochen. Die Macht würde an die privaten Versicherungen und Banken abgegeben werden. Eine Auswirkung wäre, dass Weiterverkäufe möglich werden. Es geht hier nicht nur um deutsche Versicherungskonzerne wie Ergo oder Allianz -sie sind im Gespräch gewesen -, sondern um Weiterverkäufe an Black Rock und andere Hedgefonds. Für internationale Weiterverkäufe gäbe es keine Schranken. Außerdem hätten die Gesellschaften die Möglichkeit, durch Weiterverkäufe Handel zu treiben. Daseinsvorsorge würde also zu einem Anlageprodukt. Teilweise sind diese Gesellschaften in Steueroasen registriert. Das heißt, wir werden es mit Steuerabfluss zu tun haben, weil die Gesellschaften durch Tochtergesellschaften und sonstige Ausgründungen ihren Sitz in Steueroasen verlagern. Nehmen wir als Beispiel Bilfinger Berger. Es gibt den Bilfinger Berger Global Infrastructure Fonds, der seinen Sitz in Luxemburg hat. Schon heute hält dieser Fonds Anteile an ÖPP-Projekten in Deutschland: zum Beispiel am Gefängnis in Burg, an zehn Schulen in Frankfurt, Köln und Rodenkirchen, an Verwaltungsgebäuden in Unna und München und an einer deutschen Autobahn, der A1. In Großbritannien hat man damit sehr viele Erfahrungen gemacht. Anteile an ÖPP-Projekten im Wert von 20 Milliarden Euro sind dort bereits weiterverkauft und gehandelt worden, und dieses Problem wird auch auf uns zukommen. Anteile unserer Daseinsvorsorge werden irgendwo in der Welt landen.
Es wurde die interessante Frage gestellt: Warum heißt es „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“? Das ist der erste Schritt. Später kommen dann die Infrastrukturgesellschaft Schulen, die Infrastruktur-gesellschaft Rathäuser usw. dazu. Die Fratzscher-Kommission hat sich dafür ausgesprochen, dass die Vorschläge noch weitergehen: Wir steigen ein mit dem Bereich Autobahnen, danach kommen die Schulen, wahrscheinlich die Kitas usw. Deswegen heißt es nicht „Autobahn AG“, sondern erst einmal „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“. Sie werden also ein Exempel setzen, wie es mit unserer Daseinsvorsorge weitergehen wird. Alles wird in solchen Infrastrukturgesellschaften gebündelt werden.
Wenn von Verbesserungen die Rede ist: Ich finde, das Vorhaben ist und bleibt ein Privatisierungsprojekt. Für die nächsten Jahre und Jahrzehnte wird es heißen -wenn es dazu kommen sollte -: Der Bundestag hat ein Privatisierungsprojekt verabschiedet. Das lässt sich auch durch kleine Verbesserungen, zum Beispiel durch die Gründung einer AöR, nicht verändern. Die Gründung einer AöR erfolgte bei den Berliner Wasser-betrieben. Erst dadurch sind ÖPP-Projekte und Privatisierung möglich geworden. Durch die Änderungen wird also nicht verhindert, dass private Kredite aufgenommen werden können.
Wir reden ein bisschen um den heißen Brei herum. Denn das Ziel dieser ganzen Reform, die von der Expertenkommissionvorgeschlagen worden ist, ist, dass Private beteiligt werden können. Darum geht es hier im Kern. Um so etwas zu verhindern, braucht es keine Verbesserungen. Vielmehr müsste das ganze Vorhaben abgesagt werden. Man müsste sich mehr Zeit nehmen, um sich zu überlegen: Wie wollen wir unsere Daseinsvorsorge sinnvoll organisieren?